Restrukturierung: Wenn der “Chief Restructuring Officer“ kommt – Ein Erfahrungsbericht
Was macht ein erfahrener „Chief Restructuring Officer“ wenn er die Restrukturierung eines notleidenden Unternehmen übernimmt?
Ein Chief Restructuring Officer, auch „CRO“ genannt, ist für Unternehmen in Krisensituationen oftmals die letzte Chance, eine Insolvenz oder Liquidation zu vermeiden. Gerade aktuell befinden sich viele Unternehmen und deren Geschäftsmodelle – oftmals auch unverschuldet – aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pamdemie in einer existenziellen Krise.
In einer solchen Liquiditätskrise würden laut einer aktuellen Umfrage der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen 83% der Unternehmer die Unterstützung durch einen externen Chief Restructuring Officers nutzen.
Wie sieht die Arbeit und Rolle dieser interimistischen Manager und Experten für schwierige Restrukturierungssituationen in der Praxis aus?
Der erste Tag der Restrukturierung
Für einen erfahrenen Chief Restructuring Officer (CRO) ist es eine gewohnte Situation und dennoch immer wieder eine Herausforderung: Der CRO muss sich in den ersten Arbeitstagen zunächst bei den Führungskräften, dem Betriebsrat und anschließend im Rahmen einer unternehmensweiten Mitarbeiterversammlung bei allen anwesenden Mitarbeitern der notleidenden Gesellschaft persönlich vor Ort vorstellen und das Vertrauen und die Akzeptanz aller Beteiligten gewinnen.
Bei dieser Vorstellung hat man keine zweite Chance, einen ersten guten Eindruck zu machen. Die kurze Rede des CRO muss einerseits die Führungskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für eine bedingungslose Unterstützung und ihr Vertrauen gewinnen und dabei motivieren und überzeugen, dass die bevorstehenden Restrukturierungsmaßnahmen unter seiner Führung erfolgreich sein werden.
Gleichzeitig muss der CRO mit schonungsloser Offenheit klarstellen, dass die geplanten Restrukturierungsarbeiten für alle Beteiligten – also auch für die Mitarbeiter – sehr schmerzhaft, aber alternativlos sein werden.
Genauso wichtig wie die Gewinnung der Akzeptanz und des Vertrauens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen ist der Buy-in der anderen Stakeholder und für Restrukturierungsmaßnahmen. Zu den wichtigsten Stakeholdern des Unternehmens gehören dabei die Gesellschafter, Banken und sonstige Finanzierungspartner, Warenkreditversicherer, Aufsichts- oder Beiräte, Gewerkschaften, Bertriebsräte sowie die strategischen Kunden und Lieferanten.
Definition “Chief Restructuring Officer”
Der Chief Restructuring Officer („CRO“) ist ein interimistischer Geschäftsführer oder Vorstand, der Unternehmen aus einer existentiellen Liquiditäts- und Ertragskrise durch Steuerung und Umsetzung des Restrukturierungsprozesses und Koordination der Stakeholdern wieder herausführen soll, um die Insolvenz oder Liquidation des Unternehmens abzuwenden.
Restrukturierung: Die ersten Wochen
In den nächsten maximal vier bis sechs Wochen hat der CRO drei zentrale Aufgaben, die er erfüllen muss.
Im ersten Schritt geht es darum, eine verlässliche Liquiditätsplanung zu erstellen und die kurzfristige Liquidität des Unternehmens sicherzustellen.
Gleichzeitig muss der CRO einen Restrukturierungplan erarbeiten, der einen kurzfristigen Turnaround und die damit verbundenen konkreten Restrukturierungsmaßnahmen beschreibt und die Restrukturierungskosten und -effekte im Detail quantifiziert. Wenn bereits ein Sanierungsgutachten nach IDW S6 vorliegt, wird ein erfahrener CRO die darin aufgezeigten quantitativen Zielvorgaben validieren und konkrete operative Umsetzungsmaßnahmen erarbeiten.
Dabei muss auch die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells des Krisenunternehmens kritisch hinterfragt werden, da ansonsten die Aufwendungen für Restrukturierungsmaßnahmen und –kosten nicht sinnvoll wären.
Schließlich muss der CRO mit den Stakeholdern, also insbesondere den Gesellschaftern, Kreditinstituten und sonstigen Finanzierungspartnern, Betriebsräten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über deren Beitrag zur Restrukturierung verhandeln und den Restrukturierungsprozess abstimmen.
Restrukturierung: Stringenz und soziale Kompetenz
Für den CRO gilt es dabei, neben der notwendigen Stringenz bei der Umsetzung der Restrukturierung auch seine soziale Kompetenz einzusetzen, um die Unterstützung der Stakeholder für seine Maßnahmen zu gewinnen.
Für die effiziente Kommunikation und zeitnahe Verabschiedung von Entscheidungen empfiehlt sich die Einrichtung eines Lenkungsausschusses für die Restrukturierung, dem neben den Gesellschaftervertretern auch bei fremdfinanzierten Unternehmen die Finanzinstitute angehören.
Überhaupt gilt: Zuviel Kommunikation während der Restrukturierung gibt es für einen CRO nicht. Zur Kommunikation gehören dabei neben regelmäßigen Lenkungsausschusssitzungen auch eine „24-Stunden Hotline“ für den Bankenpool. Hier sollte man besser alle relevanten Finanzkennzahlen und Informationen parat haben.
Aber auch eine hohe Präsenz in den Büros, den Werkshallen bei den Arbeitern an den Maschinen, Mitarbeiterversammlungen, Treffen mit dem Betriebsrat oder die wöchentlichen Führungskräftetreffen sind von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz und damit den Erfolg eines CRO.
Die Bedeutung von Erfolgen und Symbolen für die erfolgreiche Restrukturierung
Ein erfahrener CRO weiß auch, wie wichtig schnelle Erfolge („Quick Wins“) sind.
Zu den Quick Wins zählen nachweisbare und messbare Erfolge bei der Sicherung der Liquidität, z.B. durch Sofortmaßnahmen wie Investitionsausgabensperre, Working Capital Management (Verhandlung neuer Zahlungskonditionen mit Lieferanten und Kunden), Lohnkosteneinsparungen durch Kurzarbeit und (vorübergehenden) Lohnverzicht als Arbeitnehmerbeitrag oder der Kündigung von Leiharbeitern.
Gleichzeitig müssen alle Sofortmaßnahmen zur kurzfristigen Kostenreduzierung bei Materialkosten, sonstigen betrieblichen Aufwendungen oder Personalkosten möglichst liquiditätsschonend umgesetzt werden.
Neben den Quick Wins ist das Vorleben der neuen Unternehmenskultur in der Krisensituation notwendig. Der CRO macht sich unglaubwürdig, wenn er mit dem privaten Luxusauto oder einem teuren Mietwagen vorfährt und im vornehmen Hotel in der größeren Nachbarstadt übernachtet. Erfahrene CRO mieten immer ein bescheidenes Fahrzeug an, verzichten auf den eleganten Maßanzug und geben sich mit einem bescheidenen Hotel- oder Pensionszimmer in der Nähe des Unternehmens zufrieden.
Wenn ausschließlich gewerbliche Arbeitnehmer oder „kleine“ Angestellte, aber keine Führungskräfte auf der Restrukturierungsliste für den Personalabbau stehen, wird es schwer, die Unterstützung des Betriebsrates für den neuen Kurs zu gewinnen.
Auch die Untervermietung von freigewordenen Miet- oder Büroflächen nach dem Personalabbau ist ein sichtbares Zeichen an alle Mitarbeiter, dass sich das Unternehmen im Wandel und in einer Umbruchsituation befindet und eine neue Unternehmenskultur gilt.
Typische Restrukturierungen, in denen ein Chief Restructuring Officer eingesetzt wird
- Drohende oder akute Liquiditätskrise des Unternehmens
- Drohende oder akute Überschuldung des Unternehmens
- Breach of Covenants, also die schwerwiegende und möglicherweise dauerhafte Verletzung von definierten Zielwerten für Kennzahlen, die für die Aufrechterhaltung der vereinbarten Fremdfinanzierung mit den Kreditgebern notwendig ist
- Konflikte zwischen den Gesellschaftern oder zwischen den Stakeholdern im Angesicht einer drohenden Ertrags- oder Liquiditätskrise
- Fehlendes Vertrauen der finanzierenden Banken oder anderer Finanzierungspartner (Bond Holder, Mezzanine-Geber, Warenkreditversicherungen, Factoringunternehmen, etc.) in das Management und/ oder Gesellschafter des notleidenden Unternehmens
- Anhaltende, sich steigernde operative Verluste des Unternehmens mit einem in Krisensituationen unerfahrenen Managements
Restrukturierungen mit dem richtigen Team
Es hat sich bewährt, bei komplexen Restrukturierungssituationen neben dem CRO auch einen sogenannten Liquiditätsmanager und einen Program Manager zu etablieren, die in der Regel wie der CRO nicht aus dem Unternehmen stammen, sondern extern rekrutiert werden sollten.
Insbesondere Bankenpools, die sich leider nicht immer untereinander einig über die notwendigen Maßnahmen und Finanzierungshilfen sind, benötigen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Zeit.
Ein CRO, der zuerst Restrukturierungsmaßnahmen umsetzen muss, wird die Unterstützung eines Liquiditätsmanagers, der Erfahrungen im Umgang mit Banken in Restrukturierungssituationen hat, sehr zu schätzen wissen.
Der Liquiditätsmanager ist eine wichtige Schnittstelle zu den Banken bei dem Restrukturierungsthema Nummer 1 – der Liquiditätssicherung, Erhöhung der Transparenz und Wiederherstellung des Vertrauens der Fremdkapitalgeber.
Müssen im Rahmen des Restrukturierungsplans zahlreiche Restrukturierungsprojekte – mehr als 20 Projekte sind hier keine Seltenheit – teilweise zeitgleich mit hoher Priorität umgesetzt werden, ist ein Program Manager absolut erfolgskritisch für die erfolgreiche Restrukturierung und den CRO.
Der Program Officer unterstützt die Definition der Ziele, Termine und Verantwortlichkeiten aller Restrukturierungsprojekte und verfolgt die Umsetzungsfortschritte der Restrukturierung sowohl quantitativ als auch inhaltlich.
Wenn der CRO, Liquiditätsmanager und Program Officer bereits in anderen Restrukturierungssituationen erfolgreich zusammengearbeitet haben, ist dies für die Geschwindigkeit der Umsetzung der Maßnahmen und für die Durchschlagskraft beim Durchbrechen der mentalen Abwärtsspirale im notleidenden Unternehmen ein unschätzbarer Vorteil.
Das Ende des Restrukturierungsprozesses
Ein CRO ist immer ein Krisenmanager und Sanierer auf Zeit. Gute Restrukturierer sind häufig die nicht die richtigen Manager, nachdem das Unternehmen nach 9 bis maximal 18 Monaten wieder erfolgreich die Krise überwunden hat und es um die kontinuierliche Weiterentwicklung im Tagesgeschäft geht.
Ein CRO ist ein Spezialist für die Sondersituation Restrukturierung, nicht für das Verwalten und Führen eines funktionierenden und erfolgreichen Unternehmens.
Nach einigen Monaten sollte ein CRO und das Führungsteam des Unternehmens eine Strategie mit klaren Zielen für die Zeit nach der Restrukturierung definiert und ein nachhaltiges oftmals neues oder zumindest stärker fokussiertes und effizienteres Geschäftsmodell ausgearbeitet und kommuniziert haben, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dieser Zukunftsvision für den Verbleib im Unternehmen zu motivieren.
Der letzte Arbeitsschritt des CRO ist oftmals die Unterstützung der Gesellschafter und relevanten Stakeholder bei der Auswahl und Einarbeitung seines eigenen Nachfolgers, auch wenn er sich damit selber wieder aus dem Unternehmen entfernt- quasi als letzte Restrukturierungsmaßnahme.